Wolfgang Brauneis:
In seiner Einzelausstellung „Anarchy for Her“ bringt René Radomsky drei bildkünstlerische Ausdrucksformen in einen Zusammenhang, die für gewöhnlich nicht gemeinsam Gegenstand kritischer Betrachtung in einer Kunstinstitution sind: Malerei auf Leinwand – aufgetragen sowohl mit Pinsel und Ölfarbe als auch mithilfe des für Tätowierungen verwendeten Stencil Papiers –, Zeichnungen, die in Vitrinen zu sehen sind, sowie Tätowierungen von diesen Zeichnungen.
Jenseits der, vor dem Hintergrund seiner Praxis als bildender Künstler und Tätowierer, grundlegenden Frage nach den definitorischen Grenzen zwischen Kunst und Handwerk im allgemeinen, führt diese besondere Kombination figurativer Bildproduktion zu zahlreichen weiteren Überlegungen, die auch das Selbstverständnis einer Einrichtung der Gegenwartskunst berühren: Welchen Stellenwert nimmt Malerei, nach wie vor die Königsdisziplin des Kunstbetriebs, zumindest des Kunstmarktes, in einer solchen Konstellation ein? Wie ist es um das Verhältnis zwischen subkulturell und hochkulturell codierter Bildsprache bestellt? Wird Tätowieren dann zur Kunst, wenn der Tätowierer René Radomsky ausschließlich Motive des bildenden Künstlers René Radomsky im Angebot hat? Oder wird ein solches Motiv erst zu einem „echten“ Radomsky, wenn es als eigenständige Zeichnung in das Werkverzeichnis aufgenommen wurde? Welche Parallelen lassen sich, historisch gesehen, zwischen der Geschichte des Tätowierens und der Malereigeschichte erkennen? Warum ist die Tätowierung einer Zeichnung Radomskys günstiger als die Zeichnung selbst? Wird Tätowieren im kunstbetrieblichen Rahmen per definitionem zur Performance, zum Readymade, zur Intervention? Begegnen sich tätowiertes und gemaltes Bild, Haut und Leinwand auf Augenhöhe? Welche Rolle nimmt die Zeichnung als eigentliches Gravitationszentrum des Ganzen ein? Und überhaupt: Was ist wo und wann Kunst?
In his solo exhibition “Anarchy for Her,” René Radomsky brings together three forms of visual expression that are not usually the subject of critical consideration in an art institution: Painting on canvas – applied both with brush and oil paint and with the help of the stencil paper used for tattoos -, drawings on display in showcases, and tattoos of these drawings.
Beyond the fundamental question, against the background of his practice as a visual artist and tattoo artist, of the definitional boundaries between art and craft in general, this particular combination of figurative image production leads to numerous other considerations that also touch on the self-image of an institution of contemporary art: What is the status of painting, still the supreme discipline of the art establishment, at least of the art market, in such a constellation? What is the relationship between subculturally and highly culturally coded visual language? Does tattooing become art when the tattoo artist René Radomsky exclusively offers motifs by the visual artist René Radomsky? Or does such a motif only become a “real” Radomsky when it is included in the catalog raisonné as an independent drawing? What parallels can be seen, historically, between the history of tattooing and the history of painting? Why is tattooing a drawing by Radomsky more favorable than the drawing itself? Does tattooing in the art establishment framework by definition become a performance, a readymade, an intervention? Do tattooed and painted image, skin and canvas meet at eye level? What role does the drawing take as the actual center of gravity of the whole? And in general: What is art where and when?
Prof. Dr. Lars Blunck:
„Quid est enim tempus?“ Auf die selbstgestellte Frage, was denn wohl Zeit sei, hat der Kirchenvater Augustinus bekanntlich geantwortet, dass er es wisse – solange er nicht danach gefragt werde. Zeit, das scheint für René Radomsky so etwas wie ein Fluidum seiner künstlerischen Arbeit(en) zu sein. Etwas, worin sich seine gutteils videobasierten, angelegentlich auch performativen Arbeiten realisieren. Da gibt es die (ver)gegenwärtig(t)e Zeit (10.800 Sekunden, 2014), die entgrenzte (Ohne Titel, 2017), verabgründete (Not My Body But My Mind, 2018) und eingefrorene Zeit (Geblitzt, 2018), die gesprungene (One Of Us Cannot Be Wrong, 2018), ausgehaltene (Hold, 2019) und scheinbar fixierte Zeit (Jetzt, 2020), auch die aus divergenten Momenten gefügte Zeit (Permanent Question, 2018).
Zugleich ist bei vielen dieser Arbeiten die Frage nach dem Ich ein zentrales Thema: die Frage nach dem Selbst, nach Identität, nach dem Verhältnis des eigenen Körpers zur Psyche und von beidem zusammen zur Welt. „Quid est enim ego?“, so könnte man in Anlehnung an Augustinus vielleicht fragen. Allegorische, aber auch (wie in der Zweikanal-Videoinstallation One Of Us Cannot Be Wrong, 2018) durchaus unverstellte Selbstbefragungen, ja bis- weilen die beeindruckend offene und offensive Thematisierung psychischer Devianzen finden sich immer wieder in der künstlerischen Arbeit von René Radomsky. Beispielsweise wird in der Mehrkanal-Videoarbeit Permanent Question (2018) ein gleichsam medial facettierter Körper in eindringlicher Nahbildlichkeit und in enervierender Akustik mit einzelnen Wörtern tätowiert: „Is“... „this“ usw. In der Simultaneität der medialen Darbietung fügen sich die Teile zum Ganzen, zusammenzulesen zu einem grundlegenden Zweifel am eigenen Sein und Tun: „Is this the life I always wanted“. Ohne Fragezeichen, weniger Frage – denn Aussagesatz. Eine skeptische Feststellung in der Syntax einer Frage? Zweifel also als mentales Grundkonstituens?
Tätowieren als unwiderrufliche Hauteinschreibung findet auch in einer anderen Arbeit eine stetig wiederkehrende Form, in einem Work in progress, das bis auf das Jahr 2016 zurückgeht. Sein Titel verspricht vollmundig, was sich beim genaueren Nachdenken durchaus hinterfragen oder besser: befragen lässt: I Will Make Your Body a Piece of Art. Seit einigen Jahren nun schon sticht Radomsky seinen Namen in die Haut fremder Körper, mittlerweile bereits 21 mal, ob als Kunst, als Freundschaftsdienst oder zum individuellen Körperschmuck ist dabei längst nicht mehr entscheidend. Dabei ist Radomsky in jüngerer Zeit dazu übergegangen, seine flüchtige Signierung der Haut mit der Tätowiernadel nachzustechen; zuvor hatte er nicht seine Signatur tätowiert, sondern das Schriftbild seiner Signatur, wobei weniger das Indexikalische der Signatur (die originäre Spur des Signierenden) zum Tragen kam als vielmehr das Ikonische der Schrift (also die Bildlichkeit derselben). Was indes in beiden Fällen im Gegensatz zum Akt herkömmlichen Signierens zurücktritt, sind die Bewegung, die Geschwindigkeit, die Impulsivität und der Duktus des Signierens. Dabei mag Radomskys tätowierte ‚Signatur‘ wie manche konventionelle Signatur auch zwar kalligraphisch erscheinen. Der vermeintliche Schreibakt indes, dem sich das tätowierte Hautbild der Signatur verdankt, ist alles andere als ‚schön schreibend‘ (kállos = Schönheit, graphein = schreiben): Der Akt ist roh, es ist ein Akt der Perforation, fast digital (auch im Sinne eines punktuell weisenden Digitus, also des menschlichen Fingers oder analogen Zeigestabs), händisch zwar, jedoch zugleich maschinell.
Unverkennbar stehen Radomskys tätowierte Schriftbild-Tattoos in einer langen Traditionsreihe künstlerischer Signatur-Einsätze, am offenkundigsten mit Bezügen zu Piero Manzonis Sculture vivante. Seit 1961 hatte Manzoni (1933–1963) kraft seiner Signatur Personen zu „authentischen Kunstwerken“ deklariert und diese wie zur Beglaubigung mit einer „Authentizitätsurkunde“ ausgestattet. Auch Radomskys Tätowierungen versprechen einen Distinktionsgewinn: Nicht allein, indem der Titel zusichert, die Tätowierten zu Kunstwerken zu erheben. Auch und vielleicht mehr noch, indem ihren Körpern – in einer etwas anderen Lesweise des Titels – die Teilhaftigkeit an Kunst in Aussicht gestellt wird (man unterziehe sich der Mühen, die verschiedenen semantischen Dimensionen des Titels einmal zu bedenken). Überdies aber liegt ein Distinktionsgewinn auf der grundbasalen Ebene aller Tattoos: Wer sich tätowieren lässt, individuiert unwiderruflich den eigenen Körper. Bei Radomsky findet die Individuation in einem imaginären Kollektiv statt, das mit jeder neuen Realisierung von I Will Make Your Body a Piece of Art anwächst.
I Will Make Your Body... veranschaulicht überdies, dass Radomskys Arbeiten häufig Bezüge zu kanonischen Kunstwerken der Spätmoderne etablieren. Mal verhaltener, mal expliziter, bisweilen wohl unbewusst, niemals jedoch in der bezugshubernden Weise postmodernistischen Referenzialismus. Im Fall von Permanent Question beispielsweise wäre an Wolf Kahlens S.C.H.A.F.E. von 1975 zu denken, eine Installation von sechs Monitoren auf denen Schafe unter lautem Geblök die im Titel genannten Buchstaben formen. Gerade diese formale Ähnlichkeit zwischen Kahlen (*1940) und Radomsky jedoch offenbart die elementaren inhaltlichen Abweichungen: Bei Radomsky dient die Körperoberfläche als besonderer Bildträger. Die Haut fungiert als Interface zwischen Innen und Außen, zwischen Körper und Milieu, zwischen Ich und Welt. Die in die Haut tätowierten Worte sind unlöschliche Schrift-Bilder, welche ihren Träger, Radomsky selbst, ein Leben lang begleiten werden: der Zweifel, die Infragestellungen, das sich wohl niemals ganz zur Einheit Fügende – all dies wird bleiben, so und so.
Was also Galerie – und MuseumsbesucherInnen, was ConnaisseurInnen der nachmodernen Kunst bisweilen vertraut erscheinen mag, hat Radomsky in manchen Arbeiten nicht nur in technische Aktualisierungen transformiert, sondern insbesondere auch in die Sphäre seiner eigenen Themenfelder transponiert. Die Closed-Circuit-Anord- nung von Not My Body But My Mind (2018) beispielsweise mag an Videoinstallationen von Nam June Paik (1932–2006) oder an rekursive Videobilder bei Dan Graham (*1942) erinnern. Tatsächlich spielt Radomsky hier in einem zugleich simplen und tiefgründigen technischen Dispositiv seine basale Frage nach dem Verhältnis von Innen und Außen, von Körper und Geist, von Stabilisierung und Destabilisierung aus: eine mise-en-abyme, eine unendliche Feedbackschleife von aufnehmendem Kameraauge, wiedergebendem Digitaldisplay und abbildendem Spiegelbild. Eine – aufgrund der unablässig justierenden Regelungsautomatik der Kamera – sich permanent wandelnde Rekursion. Und damit wohl auch eine Metapher für die Unmöglichkeit, in einer fixen Statuierung anzukommen.
In der en face-Videoarbeit Hold (2019) wiederum unterdrückt Radomsky in strenger körperlicher Selbstarretierung den eigentlich unwillkürlichen Mechanismus des Lidschlags. Der Künstler verunmöglicht damit eine einzelne der vielen, meist unbewussten körperlichen Grundfunktionen – hier die automatische Befeuchtung und Reinigung der Augenhornhaut. Mit unkontrollierbarem Effekt: Trotz der geradezu ostentativen Emotionslosigkeit füllen sich die Augen mit Tränenflüssigkeit, minutenlang, bis zum Nicht-mehr-aushalten-können. Der Körper erwehrt sich – will man es denn im fehlleitenden Körper-Geist-Dualismus des Rationalismus ausdrücken – des ihm vom Willen aufgebürdeten Zwangs. Bis der Körper seinerseits den Willen überwältigt, bis die Augen erlösend niederschlagen und der K(r)ampf allmählicher Entspannung weicht.
Man kann nun in diesem tableau-vivanthaften Bild des nicht wirklich weinenden Künstlers gewiss eine Parallele zu Bas Jan Aders (1942– 1975) berühmter Mixed Media-Arbeit I am too sad to tell you (1971) erblicken. Doch wo Ader den Tränensturm (zumindest in der zweiten Video-Version) durch heftiges Augenreiben physisch allererst hervortreibt und wo er sich – oszillierend zwischen (vermeintlich) echter Trauer und melodramatischer Mimik – dem Spiel von authentischen Affekten einer- und performter Passion andererseits hingibt, sucht Radomsky das Bild des Selbst still zu stellen, seinen Gesichtsausdruck künstlich zu neutralisieren und somit die Ablesbarkeit etwaiger Gefühlszustände zu verunmöglichen; gerade dadurch jedoch provoziert er eine Körperreaktion, die gemeinhin als Ausdrucksträger von Emotionalität aufgefasst wird.
Es gibt aber eine noch viel eminentere Abweichung zu Ader: Wir dürfen die Ausübung der zwanghaften Handlung bei Radomsky durchaus als Allegorie seines eigenen Selbst-Verhältnisses auffassen. Es handelt sich bei Hold mithin nicht um ein bloßes Stück epigonaler Body Art im technischen Gewand eines digitalen Flatscreens, sondern um eine die inneren Zwänge des Individuums versinnbildlichenden Allegorie. Insofern wagt Radomsky hier, was Ader zu offenbaren bloß vorgibt: Einen künstlerischen Ausdruck für die eigene Befindlichkeit zu finden. Und es sei lediglich andeutend und zum Abschluss erwähnt, dass Radomsky in einem seiner Gedichte sehr sprechend von einem „Irrhain der Seele“ schreibt. Kunst, so schließen wir, ist bei René Radomsky nicht Ausflucht, sondern Austragungszone eines Weltverhältnisses, dient der Bewältigung des eigenen Seins. Und dies immer mit offenem Ausgang, vielleicht sogar wie in Not My Body But My Mind ohne eine Möglichkeit zur fixen Statuierung des Ich.
- Prof. Dr. Lars Blunck
English:
“Quid est enim tempus [What then is time]?” Church Father, St. Augustine famously answered his own question by saying “If no one asks me, I know what it is.” In the works of René Radomsky time might be compared to an aura, created through his mainly video-based works and occasional performances. These include envisioned and present time (10,800 seconds, 2014), unbounded (Ohne Titel [Untitled], 2017), recursive (Not My Body But My Mind, 2018) and frozen time (Geblitzt [Caught], 2018), leapt (One Of Us Cannot Be Wrong, 2018), endured (Hold, 2019) and apparently fixed time (Jetzt [Now], 2020), and time composed of divergent moments (Permanent Question, 2018).
Another key issue addressed by many of these works is the question of self, of identity, the relation of body and psyche and of the two to the world. “Quid est enim ego?”, one might ask with a nod to St. Augustine. Both allegorical and undisguised (as in the two-channel video installation One of Us Cannot Be Wrong, 2018) self-questioning, at times even an impressively open and offensive engagement with psychological deviances, is a recurrent aspect in the artistic work of René Radomsky. For instance, in the multi-channel video work Permanent Question (2018) body areas are tattooed word by word in penetratingly close-up perspectives, accompanied by an enervating soundscape: “Is” ... “this” etc. In the simultaneity of the media representation the parts combine to form a whole, culminating in a fundamental doubting of one’s existence and actions: “Is this the life I always wanted”. A statement framed in a question with no question mark. A sceptical observation in the syntax of a question? Doubt then as a fundamental constituent of the mind?
Tattooing as an irrevocable skin inscription is a recurrent feature of another project, a work in progress that goes back to 2016. On closer reflection, the grandiose promise of its title invites challenging or better probing: I Will Make Your Body a Piece of Art. For some years now Radomsky has been tattooing his name into the skin of human bodies, 21 times so far, whether as art, a service for a friend or as personal body ornamentation has long ceased to be of consequence. Recently, Radomsky has begun to go over his fleeting signature with the tattoo needle; previously he had not tattooed his signature as such, but the characters of his signature, whereby the emphasis was less on the indexicality of the signature (the original trace of the signer) and more on the iconic nature of the characters per se. In both cases, the difference to the act of conventional signing is the movement, speed, impulsiveness and ductus of signing. Though Radomsky’s tattooed “signature” may look calligraphic like some conventional signatures, the would-be act of writing to which the tattooed skin image of the signature is owed, is anything but “beautiful writing” (kállos = beauty, graphein = to write): The act is raw; it is an act of perforation, almost digital (also in the sense of a pointing “digitus” i.e. a human finger or analogue pointer), though manual at the same time mechanical.
Radomsky’s character tattoos are unmistakeably part of a long tradition of artistic signatures, most obviously with references to Piero Manzoni’s Sculture vivante. Since 1961 Manzoni (1933–1963) had declared people as “authentic works of art” on the strength of his signature, providing them with a “certificate of authenticity” as a kind of verification. Radomsky’s tattoos also promise heightened distinction: not only in that the title promises elevation of the tattooed persons to the status of artworks, but also and perhaps even more in that their bodies—in a slightly different interpretation of the title—promise participation in art (it is worth mulling over the various semantic dimensions of the title). Increased distinction is also promised on a fundamental level of all tattoos: anyone having themselves tattooed irrevocably individualises their body. In Radomsky’s case, the individuation takes place in an imaginary collective that grows with each new production of I Will Make Your Body a Piece of Art.
I Will Make Your Body A Piece Of Art also illustrates that Radomsky’s works frequently cast references to canonical artworks of the late modern age. Sometimes more restrained, sometimes more explicit, sometimes probably unconsciously, but never laden with post-modernist referentialism. In the case of Permanent Question Wolf Kahlen’s S.C.H.A.F.E. from 1975 springs to mind; an installation of six monitors on which sheep form the above letters of the title against a background of loud baaing. However, precisely this formal similarity between Kahlen (*1940) and Radomsky reveal fundamental differences: Radomsky uses body surfaces as a special substrate. The skin acts as an interface between inside and outside, between body and environment, self and the world. The words tattooed into the skin are indelible character pictures, which will accompany their bearer, Radomsky himself, all his life: the doubt, the questioning, the striving towards unity that will never quite be—all of this will remain, one way and the other.
What may meanwhile seem familiar to gallery and museum visitors and connaisseurs of post-modern art has been transformed by Radomsky in some of his works not only in the sense of a technical updating, but also and particularly into the sphere of his own thematic focuses. The closed-circuit arrangement of Not My Body But My Mind (2018) may, for example, recall video installations of Nam June Paik (1932–2006) or recursive video images by Dan Graham (*1942). And Radomsky does engage here in a both simple and profound technical dispositif with his fundamental querying of the relationship between inside and outside, body and mind, stabilisation and destabilisation: a mise-en-abîme, an infinite feedback loop of recording camera lens, digital display playing back images and reflecting mirror images: on account of the camera’s continuous auto-adjust, a permanently changing recursion. And therefore also a metaphor for the impossibility of arriving at a fixed determination.
By contrast, in the en-face video work Hold (2019) Radomsky, in a strict physical self-imposition, suppresses the involuntary batting of the eyelid. The artist thus precludes one of the many, mostly unconscious basic body functions, in this case the automatic moistening and cleaning of the cornea. With an uncontrollable effect: despite the almost studied lack of emotion, the eyes fill with tear fluid for the space of some minutes until the point of unbearableness. The body defies—if one wants to put in terms of misleading rationalistic body-mind dualism—the constraint imposed on it by the will. Until the body overcomes the will, until the eyes drop in release and the strain/struggle gradually gives way to relaxation. One can surely distinguish in this tableau-vivant-like image of the not really crying artist a parallel to Bas Jan Ader’s (1942–1975) famous mixed media work I am too sad to tell you (1971). Yet where Ader physically forces a storm of tears by vigorously rubbing his eyes (at least in the second video version), and where he devotes himself—wavering between (supposedly) genuine grief and melodramatic mimicry—to a game of authentic affects of a (performed) passion, Radomsky tries to x the image of self, artificially neutralising his facial expression to preclude anyone reading his emotional states; yet this very act provokes a physical reaction that is commonly interpreted as expressing emotion.
There is however a far more eminent difference to Ader: we may well regard Radomsky’s exercise of compulsive action as an allegory of his relationship to self. Hence Hold is not merely a piece of epigonal body art in the technical guise of a digital flat screen, but an allegory depicting the inner compulsions of the individual. In this sense, Radomsky does what Ader merely pretends to do: find an artistic expression for one’s own condition. In conclusion, it can be noted that in one of his poems Radomsky writes very tellingly of a “labyrinth of the soul”. Art, we conclude, is not a subterfuge for René Radomsky, but a staging zone of a relationship to the world, used to come to terms with one’s self. And this is always open-ended, perhaps even like in Not My Body But My Mind without the option of a fixed determination of self.
Anna Hofmann
Ich erinnere mich gut an den Tag, als wir uns kennenlernten. Bei einer Mappenpräsentation an der Akademie standen wir hinter den Pavillons um Biertische und sahen auf Arbeiten vieler zukünftiger Studierender. Wie sich später, als wir bereits befreundet waren, herausstellen sollte, waren wir beide sehr nervös und beide gingen wir davon aus, dass der jeweils andere sich seiner Sache sicher ist. Eine Arbeit von ihm ist mir gut in Erinnerung geblieben: Es geht darin um das schwarze Schaf in jeder Familie.
Ist unsere Emotionalität oder Rationalität wichtiger für die Kunst? Und für die Entstehung und die Rezeption gleichermaßen?
Wir begannen zu studieren und was anfangs noch unbeschwert aus- sah, entwickelte sich in eine Zeit voller absurder, unzusammenhängender Ereignisse, die uns sprachlos zurückließen, obwohl wir so oft Worte zu finden versuchten für das, was uns widerfuhr. Wir sprachen über Pseudonyme, die wir uns aneignen, Metaphern, die wir erst finden und Regeln, die wir brechen müssten. Der Tod seiner Mutter war ein einschneidendes Erlebnis und es war sichtbar, was das mit ihm anstellte. Zu leben, Kunst schaffen zu wollen, während man den Boden unter den Füßen verliert, gestaltete sich zu einer Herausforderung. Wozu Kunst, wenn alles zusammenbricht? Wozu Studienkredite, wenn die drängenden Fragen unbeantwortet im Raum stehen bleiben?
Was braucht die Kunst zur Entstehung? Ein Leiden, einen Mangel, die Abwesenheit etwas Ausschlaggebenden, um zu entstehen, zu funktionieren? Braucht sie Unzufriedenheit, ein Fehlen, die Suche nach dem Detail? Braucht sie Einsamkeit? Gefühlte, ausgedachte Nähe? Ein Verschwinden, um neu entstehen zu können?
Eine Zeit lang wohnten wir gemeinsam in einer WG. Es gab dort einen Raum, den wir Whisky-Zimmer nannten. Dort stand auch das Klavier, von dem niemand mehr so genau wusste, wie es da hineingekommen war und auf dessen Tasten immer wieder unzusammenhängende Lieder angespielt wurden. Diese winzige Kaschemme fungierte als Zentrum unseres Zusammenlebens. Was in anderen Wohngemeinschaften die Küche oder ein Wohnzimmer bildete, war in unserem Fall der Raum, in dem wir uns trafen, zusammen setzten, über den Tag sprachen und große Pläne schmiedeten.
Wie viel Unsicherheit braucht die Kunst? Wie viel Narzissmus? Muss die Überzeugung, etwas Wichtiges für die Welt schaffen zu wollen, der Angst weichen, das Gesicht zu verlieren? Wie viel Angst verträgt sie?
In Renés Arbeit schwingt ein Wunsch nach Veränderung mit, eine Suche nach Identität, nach einem Ich, das er zwischenzeitlich selbst nicht greifen konnte, das aber immer da war. Es blinzelt eine Unzufriedenheit, eine Wut durch die Werke, sie drängt sich mal lauter, mal leiser in die Bandbreite seines Schaffens. Es bleibt kein Zweifel, dass das, was er tut, von einem ungebändigten Willen herrührt, eine Entwicklung greifbar machen zu wollen und sich selbst zu verstehen.
In der Kunst mag man sich so vieler Referenzen und Zitate bedienen; sie wirft uns am Ende immer wieder auf uns selbst zurück. Wie gut, dass es eine Gemeinschaft gibt, die auffängt.
English:
I remember well the day we met. At an academy portfolio presentation we were standing around beer tables behind the pavilions looking at the works of many future students. Later, once we’d become friends, we discovered that we’d both been very anxious and we’d both assumed the other to be completely self-assured. I remember one of his works in particular. It was about the black sheep in every family.
Is our emotionality or rationality more important for art? And likewise for creation and reception?
We began to study and what initially seemed to be easygoing, developed into a period packed with absurd unconnected events that left us speechless, although we so often sought words to describe what was happening to us. We talked about pseudonyms we had to adopt, metaphors we had to invent first and rules we had to break. The death of his mother was a traumatic experience and it was obvious how deeply it affected him. Living and wanting to create art when the ground has just given way beneath you became a challenge. What use is art when everything is falling apart? What is the point of study credits if the pressing questions remain unanswered?
What does it take to create art? Suffering, a shortcoming, the absence of something crucial for it to come about, to function? Does it thrive on dissatisfaction, a want, the quest for detail? Does it need loneliness? Felt, contrived closeness? A disappearing to make way for something new?
For a while we shared a flat. It had a room we called the Whisky Room. There was a piano in it. No-one remembered exactly how it got here and we used to play random songs on it. This tiny den was the hub of our co-existence. In other shared fats, this function was often fulfilled by the kitchen or a living room, in which we met, sat down together, talked about the day’s events and forged great plans.
How much uncertainty does art need? How much narcissism? Must being convinced that you want to do something important for the world necessarily yield to the fear of losing face? How much fear can conviction withstand?
René’s works are stirred by a desire for change, a search for identity, for self that he himself was temporarily unable to grasp, but that was always there. The works shimmer with discontent, anger, sometimes echoing louder, sometimes more quietly, across his creative work. There is no doubt that he is driven by an unbridled will to make a development tangible and to understand himself.
In art, no matter how many references and quotations we use; in the end it all comes back down to ourselves. How lovely that there is a community to support us.